Glatzen aus der Pastamaschine

Über 1037 handgeknüpfte Perücken warten im Maskenfundus auf ihren nächsten grossen Auftritt. Eine beachtliche Zahl, besonders weil die Fertigung einer einzelnen Perücke rund 80 Stunden Arbeitszeit beansprucht. Kürzlich absolvierten unsere Maskenbildner:innen einen Workshop, bei dem für einmal nicht die kunstvollen Haarwerke im Mittelpunkt standen, sondern Glatzen. Warum auch hier filigrane Handarbeit gefragt und ausgerechnet eine Pastamaschine von grossem Nutzen ist, lesen Sie im Artikel.
Vor kurzem war Isabelle Neu, Maskenbildnerin und Dozentin an der Kaupo-Akademie, für zwei Tage zu Gast im Theater und leitete einen Workshop für unsere Maskenbildner:innen. Ihr Spezialgebiet umfasst die Herstellung von Glatzen sowie das Modellieren von Wunden und Narben. Die Firma Kaupo vertreibt Kunststoffe, und dies nicht nur für die Baubranche und Orthop.die, sondern auch für Film und Theater. Im Rahmen des Workshops präsentierte Isabelle Neu eine innovative Technik zur Herstellung von Silikonglatzen aus Derma-Sil, einem Silikon, das normalerweise für Prothesen und Epithesen in der Orthop.dietechnik Verwendung findet. Glatzen aus Derma-Sil, die bislang vor allem im Film eingesetzt wurden, überzeugen durch ihre besonders realistische Optik. Ein weiterer Vorteil ist, dass sie individuell für einen Kopf modelliert und mehrfach verwendet werden können. Ein nachhaltiger Ansatz, der den Maskenbildner:innen zudem viel Zeit im hektischen Theateralltag spart. Bisher kamen dünne Einwegglatzen aus Vinyl zum Einsatz. Sie wurden wie Badehauben auf den Kopf des Darstellers oder der Darstellerin gezogen, eine langwierige und teils unangenehme Prozedur, weil sie nicht gut haften und keine Luft zirkulieren lassen. Doch wie erfolgt nun die Herstellung einer massgeschneiderten Silikon-Glatze? Zunächst wird ein Gipskopf aus dem Kopfabdruck des späteren Trägers oder der Trägerin erstellt. Der Gipskopf wird mit einer Trennschicht, dem sogenannten SuperSeal, behandelt, um die Poren des Gipses zu versiegeln. Das Silikon wird präzise abgewogen und mit einem Katalysator gemischt. Diese Mischung gewährleistet später die Formstabilität und Langlebigkeit der Glatze. Damit sie nicht durchsichtig bleibt, wird dem Silikon je nach Hautton der Person eine spezifische Farbpigmentmischung hinzugefügt. Durch den Zusatz von Flocking erhält die Glatze eine mehrschichtige, natürliche Struktur.
Nun hat der angekündigte Küchenhelfer seinen Auftritt. Die Silikonmasse wird in einer Pastamaschine geknetet und zu dünnen Streifen ausgewalzt. Diese werden behutsam auf den Gipskopf gelegt, leicht versetzt übereinander, bis dieser vollständig bedeckt ist. Nach dem Abdecken mit Frischhaltefolie werden die Übergänge der Silikonstreifen durch kräftiges Ausrollen mit einer Druckwalze geglättet und eine einheitliche Stärke der Silikonschicht hergestellt. Mit einer Nadel können entstandene Luftlöcher vorsichtig aufgestochen werden. Den letzten Schliff erhalten die Glatzen mithilfe von Texturrollern und Modellierwerkzeug, damit wird eine natürliche Kopfhautstruktur geschaffen.
Wenn die Glatze fertiggestellt ist, wird der Gipskopf im Ofen bei Temperaturen zwischen 80 und 120 Grad getrocknet. Dabei kann das Silikon reagieren und aushärten. Nach dem Trocknungsprozess wird der Gipskopf in ein Wasserbecken gelegt, die zuvor aufgetragene Trennschicht löst sich auf und die Glatze gleitet vom Gipskopf ab.
Die Glatze ist nun bereit für ihren ersten Einsatz. Zunächst werden die Haare des Darstellers oder der Darstellerin m.glichst eng am Kopf und ohne spitze Haarnadeln an der Oberfläche zusammengesteckt, die Haut am Haaransatz wird für eine bessere Haftung entfettet. Danach kann die Glatze aufgesetzt und mit Kleber an der Haut befestigt werden. Eventuelle Unebenheiten oder Übergangsstellen werden nachträglich korrigiert. Dann kommt Farbe ins Spiel, die in verschiedenen Schichten auf die Glatze aufgetragen wird, um einen nahtlosen .bergang zum Gesicht zu erzeugen. Airbrush-Makeup und Pinsel, mit denen Farbe durch Zupfen der Härchen auf den Kopf gesprenkelt wird, erzielen ein überaus realistisches Ergebnis. Sogar kleine Kopfadern werden nachgezeichnet. Ein wahres Kunstwerk, dass unseren Bühnendarsteller:innen zukünftig beeindruckende Transformationen ermöglicht. (Susi Reinhardt)
Herstellung von Glatzen