Theater als Ort der Utopie
Das Theater ist eine Welt für sich. Wer sich darin verirrt, bleibt vielleicht für immer. Folgende Reportage ist eine Suche nach dem Zauber des Theaters. Die drei Protagonisten haben sich vor langer Zeit in diese Welt verliebt. Wie es dazu kam und warum sie bis heute Teil des Theateruniversums geblieben sind – davon erzählt dieser Text. Doch alles von vorne.
Ganz zu Beginn war da Fordlandia. Nicht das Fordlandia, das im Spielplan von Konzert und Theater St.Gallen steht, sondern das Fordlândia von Henry Ford. Wer erinnert sich an diese unglaubliche Geschichte? Der US-amerikanische Autohersteller gründete in den 1920er Jahren eine Kautschukplantage mitten im Urwald des brasilianischen Amazonasgebiets. Sein Ziel war es, eine Modellstadt zu bauen, um Kautschuk für die Autoreifenproduktion zu gewinnen. Das Projekt scheiterte kläglich. Die Gründe dafür waren zahlreich: Misswirtschaft, Aufstände und nicht zuletzt die Erfindung synthetischen Gummis, welche die weltweite Nachfrage nach natürlichen Materialien stark sinken liess. Vorbei der grosse Traum. Gut acht Jahrzehnte später widmete der isländische Musiker und Komponist Jóhann Jóhannsson Henry Fords utopischem Vorhaben ein gleichnamiges Studioalbum, das wiederum dem gegenwärtigen Tanzabend auf der grossen Bühne seinen Namen verleiht.
Doch was ist es, was uns Menschen am Konzept der Utopie so fasziniert? Es geht um die Erschaffung eines perfekten Ortes, herbeigesehnt durch uns selbst. Unsere Träume sind die essenzielle Antriebskraft des menschlichen Schaffens und kreativen Ausdrucks. Ohne Träumereien kein Fortschritt. Und hier kommt das Theater ins Spiel: Das Theater als der Ort der Träumereien schlechthin. Hier ist alles möglich. Oder?
Andreas Enzler, Gregor Drechsler und Ronald Porawski kommen zusammen auf fast ein Jahrhundert Theatererfahrung. 96 Jahre haben sie zusammengezählt in diesem Universum verbracht – einen Grossteil ihres Lebens. Was hat sie am Theater gehalten und tut das bis heute? Aber auch hier alles von vorne.
Selina Beghetto: Wie habt ihr drei den Weg zum Theater gefunden?
Ronald Porawski: Ich habe noch vor der Wende an der Berliner Schaubühne als Aushilfsmaschinist angefangen und von dort dann ans Schillertheater gewechselt. Für mich war jedoch klar, dass ich aus Berlin wegwollte. Ich wollte herausfinden, wie es sich ausserhalb dieser Grossstadt, wo alles immer das Grösste, Schnellste und Beste ist, lebt. Und so habe ich mich blind in Süddeutschland, Österreich und der Schweiz beworben und kam dann 1991 als Leiter der Requisite nach St.Gallen. Da bin ich noch immer.
Gregor Drechsler: Ich bin in einfachen Verhältnissen aufgewachsen, Theater bedeutete also für mich in erster Linie Puppentheater, weil wir uns das als Familie eher leisten konnten. Als es dann darum ging, was ich werden wollte, kannte ich den Beruf des Theatermalers nicht. Es war mein Zeichnungslehrer, der ausgebildeter Bühnenbildner war und mir nebenbei davon erzählte. Er kenne den Leiter des Malsaals am Theater St.Gallen und ich könne da mal schnuppern gehen. Und so hat alles begonnen. Ich habe dann dort die Lehre absolviert, als erster Theatermaler überhaupt, bin im Anschluss ein paar Jahre geblieben, bevor ich dann für eine Zeit zum Film und Fernsehen wechselte. Mit der Pensionierung meines Lehrmeisters, mit dem ich über all die Jahre den Kontakt gehalten hatte, kam dann die Frage auf, ob ich die Leitung des Malsaals übernehmen möchte. Das tat ich dann auch für eine lange Zeit – bis zum vorigen Jahr: Seitdem habe ich eine Nachfolgerin, bin aber nach wie vor in ihrem Team als Theatermaler tätig – und sehr glücklich damit.
Andreas Enzler: Ehrlich gesagt, bin ich nicht unbedingt theaterbegeistert gewesen. Es gab schon Berührungspunkte, wie der Dorfschwank, bei dem ich mitgespielt habe – und dann musste es natürlich auch die Hauptrolle sein. Gelernt habe ich Radio- und Fernsehelektroniker, aber es war schnell klar, dass ich das nicht mein ganzes Leben machen wollte. Als das Theater St.Gallen dann mal einen Beleuchter gesucht hat, habe ich mich – aber erst als das Inserat zum dritten Mal in der Zeitung erschien – beworben. Ich hatte null Ahnung von Licht und obwohl der stellvertretende Leiter der Beleuchtung nicht so begeistert von der Idee war, dass da so ein Elektroniker anfangen würde, habe ich den Job bekommen. Am ersten Arbeitstag sollte ich dann eine Leuchtstoffröhre im Gang auswechseln, bin in den Keller gegangen, hab die richtige Länge ausgesucht, aber als ich sie eingesetzt habe, leuchtete sie rot auf. Ich wusste nicht, dass eine weisse Leuchtstoffröhre auch farbig leuchten konnte. Was für eine Blamage – aber nur neun Jahre später wurde ich dennoch Abteilungsleiter und bin das bis heute.
Doch was ist es, was uns Menschen am Konzept der Utopie so fasziniert? Es geht um die Erschaffung eines perfekten Ortes, herbeigesehnt durch uns selbst. Unsere Träume sind die essenzielle Antriebskraft des menschlichen Schaffens und kreativen Ausdrucks. Ohne Träumereien kein Fortschritt. Und hier kommt das Theater ins Spiel: Das Theater als der Ort der Träumereien schlechthin. Hier ist alles möglich. Oder?
Andreas Enzler, Gregor Drechsler und Ronald Porawski kommen zusammen auf fast ein Jahrhundert Theatererfahrung. 96 Jahre haben sie zusammengezählt in diesem Universum verbracht – einen Grossteil ihres Lebens. Was hat sie am Theater gehalten und tut das bis heute? Aber auch hier alles von vorne.
Selina Beghetto: Wie habt ihr drei den Weg zum Theater gefunden?
Ronald Porawski: Ich habe noch vor der Wende an der Berliner Schaubühne als Aushilfsmaschinist angefangen und von dort dann ans Schillertheater gewechselt. Für mich war jedoch klar, dass ich aus Berlin wegwollte. Ich wollte herausfinden, wie es sich ausserhalb dieser Grossstadt, wo alles immer das Grösste, Schnellste und Beste ist, lebt. Und so habe ich mich blind in Süddeutschland, Österreich und der Schweiz beworben und kam dann 1991 als Leiter der Requisite nach St.Gallen. Da bin ich noch immer.
Gregor Drechsler: Ich bin in einfachen Verhältnissen aufgewachsen, Theater bedeutete also für mich in erster Linie Puppentheater, weil wir uns das als Familie eher leisten konnten. Als es dann darum ging, was ich werden wollte, kannte ich den Beruf des Theatermalers nicht. Es war mein Zeichnungslehrer, der ausgebildeter Bühnenbildner war und mir nebenbei davon erzählte. Er kenne den Leiter des Malsaals am Theater St.Gallen und ich könne da mal schnuppern gehen. Und so hat alles begonnen. Ich habe dann dort die Lehre absolviert, als erster Theatermaler überhaupt, bin im Anschluss ein paar Jahre geblieben, bevor ich dann für eine Zeit zum Film und Fernsehen wechselte. Mit der Pensionierung meines Lehrmeisters, mit dem ich über all die Jahre den Kontakt gehalten hatte, kam dann die Frage auf, ob ich die Leitung des Malsaals übernehmen möchte. Das tat ich dann auch für eine lange Zeit – bis zum vorigen Jahr: Seitdem habe ich eine Nachfolgerin, bin aber nach wie vor in ihrem Team als Theatermaler tätig – und sehr glücklich damit.
Andreas Enzler: Ehrlich gesagt, bin ich nicht unbedingt theaterbegeistert gewesen. Es gab schon Berührungspunkte, wie der Dorfschwank, bei dem ich mitgespielt habe – und dann musste es natürlich auch die Hauptrolle sein. Gelernt habe ich Radio- und Fernsehelektroniker, aber es war schnell klar, dass ich das nicht mein ganzes Leben machen wollte. Als das Theater St.Gallen dann mal einen Beleuchter gesucht hat, habe ich mich – aber erst als das Inserat zum dritten Mal in der Zeitung erschien – beworben. Ich hatte null Ahnung von Licht und obwohl der stellvertretende Leiter der Beleuchtung nicht so begeistert von der Idee war, dass da so ein Elektroniker anfangen würde, habe ich den Job bekommen. Am ersten Arbeitstag sollte ich dann eine Leuchtstoffröhre im Gang auswechseln, bin in den Keller gegangen, hab die richtige Länge ausgesucht, aber als ich sie eingesetzt habe, leuchtete sie rot auf. Ich wusste nicht, dass eine weisse Leuchtstoffröhre auch farbig leuchten konnte. Was für eine Blamage – aber nur neun Jahre später wurde ich dennoch Abteilungsleiter und bin das bis heute.
Selina Beghetto: Was ist eure erste Erinnerung ans Theater?
Gregor Drechsler: Der Geruch. Der Malsaal war damals am gleichen Ort wie heute. Nur hat man damals noch drinnen geraucht und mit beispielsweise Knochenleim kaschiert – da hing manchmal ein halber Verwesungsgeruch im ganzen Haus. Heute unvorstellbar! Dieser ganz extreme Theater-Geruch-Cocktail aus Schminke, Parfüm, Rauch und Werkstatt: Das ist mir so geblieben.
Andreas Enzler: Ich war vielleicht acht Jahre alt. Welches Stück es war oder mit wem ich im Theater gewesen bin, weiss ich nicht mehr. Aber ich erinnere mich noch ganz genau an die Kronleuchter, die hochgefahren wurden und wie sehr mich das fasziniert hat.
Selina Beghetto: Was macht für euch die Magie des Theaters aus?
Ronald Porawski: Gemeinsam etwas auf die Beine zu stellen – und dass immer wieder etwas Neues kommt. Nach jeder Premiere, wenn die Anspannung abfällt, beginnt etwas anderes. Das macht die Arbeit am Theater so unglaublich abwechslungsreich und spannend. Und der Applaus, der ist immer auch ein bisschen für uns.
Andreas Enzler: Normalerweise setze ich mich nie in eine Vorstellung – ich sehe ja während den Endproben die Show mehrere Male. Aber es gibt diese seltenen Momente, in denen ich es doch tue – wie zum Beispiel einmal, als wir unser Musical am Gärtnerplatztheater in München eingerichtet haben und ich als Beleuchter dabei war. Da habe ich mich entschieden, mir die Vorstellung anzuschauen und das war der Wahnsinn. Da war plötzlich eine solche Euphorie, die durch den Körper strömte und ich dachte mir: Mein Gott, ist Theater geil! Unglaublich, wie auch nach 20 Jahren im Business ein solches Feuer in mir entfachen konnte. Brutal, dieser Zauber!
Gregor Drechsler: Der Geruch. Der Malsaal war damals am gleichen Ort wie heute. Nur hat man damals noch drinnen geraucht und mit beispielsweise Knochenleim kaschiert – da hing manchmal ein halber Verwesungsgeruch im ganzen Haus. Heute unvorstellbar! Dieser ganz extreme Theater-Geruch-Cocktail aus Schminke, Parfüm, Rauch und Werkstatt: Das ist mir so geblieben.
Andreas Enzler: Ich war vielleicht acht Jahre alt. Welches Stück es war oder mit wem ich im Theater gewesen bin, weiss ich nicht mehr. Aber ich erinnere mich noch ganz genau an die Kronleuchter, die hochgefahren wurden und wie sehr mich das fasziniert hat.
Selina Beghetto: Was macht für euch die Magie des Theaters aus?
Ronald Porawski: Gemeinsam etwas auf die Beine zu stellen – und dass immer wieder etwas Neues kommt. Nach jeder Premiere, wenn die Anspannung abfällt, beginnt etwas anderes. Das macht die Arbeit am Theater so unglaublich abwechslungsreich und spannend. Und der Applaus, der ist immer auch ein bisschen für uns.
Andreas Enzler: Normalerweise setze ich mich nie in eine Vorstellung – ich sehe ja während den Endproben die Show mehrere Male. Aber es gibt diese seltenen Momente, in denen ich es doch tue – wie zum Beispiel einmal, als wir unser Musical am Gärtnerplatztheater in München eingerichtet haben und ich als Beleuchter dabei war. Da habe ich mich entschieden, mir die Vorstellung anzuschauen und das war der Wahnsinn. Da war plötzlich eine solche Euphorie, die durch den Körper strömte und ich dachte mir: Mein Gott, ist Theater geil! Unglaublich, wie auch nach 20 Jahren im Business ein solches Feuer in mir entfachen konnte. Brutal, dieser Zauber!
Gregor Drechsler: Es ist eine schöne Collage, die im Theater Tag für Tag passiert. Ich bin gerne unter Leuten, aber bin auch gerne für mich allein. In meinem Alltag habe ich beides. Es passiert so viel Verschiedenes, ich bin ständig von Kreativität umgeben – das ist ansteckend. Die Zusammenarbeit im Malsaal und mit den Werkstätten allgemein ist momentan so erfüllend, nicht zuletzt auch Dank der Übergabe an die neue Generation, die meine Arbeit weiterführt. Der Malsaal ist wie mein Baby: Mir ist nicht egal, was damit passiert.
Ronald Porawski: Das geht mir genauso.
Gregor Drechsler: Dank dieser wertvollen Zusammenarbeit und den täglichen Inputs, die ich erhalte, ist mein Akkustand noch derselbe wie am ersten Tag.
Ronald Porawski: Für mich ist die zweite Hauptprobe immer Verzweiflung pur, aber dann formt sich etwas, das grandios wird – auch wenn du dir gedacht hast: Nie im Leben wird das funktionieren. Gemeinsam ist es möglich. Das ist für mich auch die Magie des Theaters. Und es beginnt bei der Neugier, herausfinden zu wollen, wie man etwas umsetzen kann – das ist für mich das Herzstück der Arbeit als Requisiteur.
Andreas Enzler: Learning by doing – das ist auch bei mir ein grosser Teil meiner Arbeit: Tüfteln, weiterentwickeln, neu erfinden. Und was die Hauptproben angeht, da ist es bei mir genau dasselbe. Bei der ersten Hauptprobe denke ich mir: Oh, schon einiges geschafft, bei der zweiten Hauptprobe: Um Himmels Willen, was habe ich nur zusammengeleuchtet, bei der Generalprobe passt es dann wieder und an der Premiere denke ich: Genial!
Ronald Porawski: Das geht mir genauso.
Gregor Drechsler: Dank dieser wertvollen Zusammenarbeit und den täglichen Inputs, die ich erhalte, ist mein Akkustand noch derselbe wie am ersten Tag.
Ronald Porawski: Für mich ist die zweite Hauptprobe immer Verzweiflung pur, aber dann formt sich etwas, das grandios wird – auch wenn du dir gedacht hast: Nie im Leben wird das funktionieren. Gemeinsam ist es möglich. Das ist für mich auch die Magie des Theaters. Und es beginnt bei der Neugier, herausfinden zu wollen, wie man etwas umsetzen kann – das ist für mich das Herzstück der Arbeit als Requisiteur.
Andreas Enzler: Learning by doing – das ist auch bei mir ein grosser Teil meiner Arbeit: Tüfteln, weiterentwickeln, neu erfinden. Und was die Hauptproben angeht, da ist es bei mir genau dasselbe. Bei der ersten Hauptprobe denke ich mir: Oh, schon einiges geschafft, bei der zweiten Hauptprobe: Um Himmels Willen, was habe ich nur zusammengeleuchtet, bei der Generalprobe passt es dann wieder und an der Premiere denke ich: Genial!
Selina Beghetto: Das klingt, als würde euch eure Arbeit ganz viel Energie geben. Was sind die Schattenseiten des Lebens am Theater?
Ronald Porawski: Die unregelmässigen Arbeitszeiten können sehr herausfordernd sein. Nicht unbedingt für uns, die sich innerhalb der Theaterwelt bewegen, aber beispielsweise für Partnerschaften mit Menschen, die nicht Teil dieser Welt sind. Es braucht sehr viel Verständnis von deren Seite.
Andreas Enzler: Gleichzeitig habe ich diese Unregelmässigkeit auch immer geschätzt. Als einer der einzigen Väter hatte ich am Mittwochnachmittag auch mal frei und konnte mit den Kindern im Wald herumtollen. Das hatte schon auch grosse Vorteile. Herausforderungen gibt es immer. Nach etwa zwei Jahren am Theater hätte ich es beinahe wieder verlassen, da das Verhältnis in und mit der Abteilungsleitung sehr schwierig war. Heute bin ich froh, dass ich dem Theater damals nicht den Rücken gekehrt habe.
Gregor Drechsler: Das kann ich gut nachvollziehen. Das sind auch für mich die schwierigsten Momente, wenn es zwischenmenschlich nicht funktioniert. Wir arbeiten mit so vielen verschiedenen Künstler:innen zusammen, da ist es klar, dass es nicht immer harmonisch zu und her geht. Aber am meisten habe ich mit den Leuten Mühe, die ihr Ego um jeden Preis durchdrücken und auf ihren eigenen Ideen herum galoppieren müssen. Das macht eine Zusammenarbeit unmöglich und das stimmt mich traurig – schliesslich wollen wir ja alle dasselbe: Gemeinsam etwas Tolles auf die Bühne bringen.
Ronald Porawski: Die unregelmässigen Arbeitszeiten können sehr herausfordernd sein. Nicht unbedingt für uns, die sich innerhalb der Theaterwelt bewegen, aber beispielsweise für Partnerschaften mit Menschen, die nicht Teil dieser Welt sind. Es braucht sehr viel Verständnis von deren Seite.
Andreas Enzler: Gleichzeitig habe ich diese Unregelmässigkeit auch immer geschätzt. Als einer der einzigen Väter hatte ich am Mittwochnachmittag auch mal frei und konnte mit den Kindern im Wald herumtollen. Das hatte schon auch grosse Vorteile. Herausforderungen gibt es immer. Nach etwa zwei Jahren am Theater hätte ich es beinahe wieder verlassen, da das Verhältnis in und mit der Abteilungsleitung sehr schwierig war. Heute bin ich froh, dass ich dem Theater damals nicht den Rücken gekehrt habe.
Gregor Drechsler: Das kann ich gut nachvollziehen. Das sind auch für mich die schwierigsten Momente, wenn es zwischenmenschlich nicht funktioniert. Wir arbeiten mit so vielen verschiedenen Künstler:innen zusammen, da ist es klar, dass es nicht immer harmonisch zu und her geht. Aber am meisten habe ich mit den Leuten Mühe, die ihr Ego um jeden Preis durchdrücken und auf ihren eigenen Ideen herum galoppieren müssen. Das macht eine Zusammenarbeit unmöglich und das stimmt mich traurig – schliesslich wollen wir ja alle dasselbe: Gemeinsam etwas Tolles auf die Bühne bringen.
Selina Beghetto: Max Frisch soll gesagt haben, dass die Kunst die Statthalterin der Utopie sei. Was war euer utopischstes und damit vielleicht auch schwierigstes Projekt, das ihr am Theater umgesetzt habt?
Andreas Enzler: Für mich war das definitiv das Musical Fame im Jahr 2003, wo wir zum ersten Mal mit Moving Lights gearbeitet haben. Da mussten wir uns richtig reinknien. Diese neue Art Licht einzusetzen war für uns noch unbekanntes Terrain und hat uns vor grosse Herausforderungen gestellt. Da reichte es nicht, dass uns ein neues Lichtpult hingestellt wurde, wir mussten uns vor allem die neue Software aneignen. Als dann bei der Premiere alles klappte und ein tosender Schlussapplaus ausbrach, hatte ich auf jeden Fall Tränen in den Augen.
Ronald Porawski: Ich erinnere mich gut an eine Produktion am Schlosspark Theater in Berlin, in der zwei Schauspieler während der Vorstellung das ganze Stück zerlegt haben. Die Idee war, dass tatsächlich alles zu Bruch gehen sollte, was sie anfassen würden. Das bedeutete für die Requisite, dass wir alles so vorbereiten mussten, dass alle Tricks funktionieren würden: Völlig utopisch! Natürlich klappte nicht an jedem Abend alles – was zu grosser Anspannung bei den beiden Schauspielern führte. Da flogen schon auch mal Requisiten in unsere Richtung. Da waren so viel Emotionen im Spiel! Gleichzeitig vermochte das gemeinsame Bier nach der Vorstellung die erhitzten Gemüter dann auch wieder zu beruhigen.
Gregor Drechsler: Bei mir war es ein Musical, bei dem sieben oder acht 9x14 Meter grosse, handbemalte, wunderschöne Theaterprospekte angedacht waren, die wir dann auch umgesetzt haben. Leider gab es im Verlauf der Probenzeit Unstimmigkeiten innerhalb des künstlerischen Teams, was dazu führte, dass wir nicht nur vier Wochen inklusive den Wochenenden durcharbeiten mussten, um diese Anpassungen vorzunehmen, sondern zum Schluss die Ansage kam, dass ein grosser Teil des Bühnenbilds mit einem Farbton übermalt werden sollte. Das war unglaublich zermürbend: So viel Arbeit für die Katz und so wenig Wertschätzung.
Andreas Enzler: Ich finde es allgemein etwas beängstigend, wie die Anforderungen immer grösser werden. Nun haben wir ein neu renoviertes Theater, das unglaublich grossartig ist, aber diese unendlichen Möglichkeiten bringen eben auch Schwierigkeiten mit sich. Wo lässt sich eine Grenze ziehen?
Und so wären wir wieder beim Thema Utopie. Wie weit sind wir bereit zu gehen für das perfekte Tanz- oder Theaterstück? Was treibt uns an, gemeinsam darauf hinzuarbeiten, dass der Zauber des Theaters auf das Publikum überschwappt? Und wann wird es zu viel? Wann verbrennt uns das Feuer, das wir alle in uns tragen? Diesen Fragen gehen die beiden Choreografen Frank Fannar Pedersen und Javier Rodríguez Cobos in ihrer Kreation Fordlandia nach. Was dabei rauskommt, können Sie noch bis zum 5. Juni 2024 auf der grossen Bühne von Konzert und Theater St.Gallen erleben. Eines ist sicher: Die Arbeit und Leidenschaft von Gregor, Ronald und Andreas sind ein Teil davon. Und der Schlussapplaus sei ihnen gewiss.
Andreas Enzler: Für mich war das definitiv das Musical Fame im Jahr 2003, wo wir zum ersten Mal mit Moving Lights gearbeitet haben. Da mussten wir uns richtig reinknien. Diese neue Art Licht einzusetzen war für uns noch unbekanntes Terrain und hat uns vor grosse Herausforderungen gestellt. Da reichte es nicht, dass uns ein neues Lichtpult hingestellt wurde, wir mussten uns vor allem die neue Software aneignen. Als dann bei der Premiere alles klappte und ein tosender Schlussapplaus ausbrach, hatte ich auf jeden Fall Tränen in den Augen.
Ronald Porawski: Ich erinnere mich gut an eine Produktion am Schlosspark Theater in Berlin, in der zwei Schauspieler während der Vorstellung das ganze Stück zerlegt haben. Die Idee war, dass tatsächlich alles zu Bruch gehen sollte, was sie anfassen würden. Das bedeutete für die Requisite, dass wir alles so vorbereiten mussten, dass alle Tricks funktionieren würden: Völlig utopisch! Natürlich klappte nicht an jedem Abend alles – was zu grosser Anspannung bei den beiden Schauspielern führte. Da flogen schon auch mal Requisiten in unsere Richtung. Da waren so viel Emotionen im Spiel! Gleichzeitig vermochte das gemeinsame Bier nach der Vorstellung die erhitzten Gemüter dann auch wieder zu beruhigen.
Gregor Drechsler: Bei mir war es ein Musical, bei dem sieben oder acht 9x14 Meter grosse, handbemalte, wunderschöne Theaterprospekte angedacht waren, die wir dann auch umgesetzt haben. Leider gab es im Verlauf der Probenzeit Unstimmigkeiten innerhalb des künstlerischen Teams, was dazu führte, dass wir nicht nur vier Wochen inklusive den Wochenenden durcharbeiten mussten, um diese Anpassungen vorzunehmen, sondern zum Schluss die Ansage kam, dass ein grosser Teil des Bühnenbilds mit einem Farbton übermalt werden sollte. Das war unglaublich zermürbend: So viel Arbeit für die Katz und so wenig Wertschätzung.
Andreas Enzler: Ich finde es allgemein etwas beängstigend, wie die Anforderungen immer grösser werden. Nun haben wir ein neu renoviertes Theater, das unglaublich grossartig ist, aber diese unendlichen Möglichkeiten bringen eben auch Schwierigkeiten mit sich. Wo lässt sich eine Grenze ziehen?
Und so wären wir wieder beim Thema Utopie. Wie weit sind wir bereit zu gehen für das perfekte Tanz- oder Theaterstück? Was treibt uns an, gemeinsam darauf hinzuarbeiten, dass der Zauber des Theaters auf das Publikum überschwappt? Und wann wird es zu viel? Wann verbrennt uns das Feuer, das wir alle in uns tragen? Diesen Fragen gehen die beiden Choreografen Frank Fannar Pedersen und Javier Rodríguez Cobos in ihrer Kreation Fordlandia nach. Was dabei rauskommt, können Sie noch bis zum 5. Juni 2024 auf der grossen Bühne von Konzert und Theater St.Gallen erleben. Eines ist sicher: Die Arbeit und Leidenschaft von Gregor, Ronald und Andreas sind ein Teil davon. Und der Schlussapplaus sei ihnen gewiss.
Gregor Drechsler
Geboren in St.Gallen, mit Unterbruch seit 32 Jahren am Theater tätig. Er absolvierte seine Lehre am Theater St.Gallen und kehrte später während 24 Jahren als Leiter des Malsaals zurück. 2023 übergab er die Leitung seiner Nachfolgerin Aleksandra Angelov und ist seitdem wieder als Theatermaler mit einer wunderbaren Chefin engagiert.
Ronald Porawski
Geboren in Westberlin, seit 39 Jahren am Theater tätig. Von 1985 bis 1991 arbeitete er als Requisiteur an den Staatlichen Schaubühnen Berlin unter der Intendanz von Heribert Sasse. Zuvor war er Aushilfsmaschinist an der Schaubühne am Lehniner Platz. Seit 1991 ist er der Leiter der Requisite des Theaters St.Gallen, hat seitdem unzählige Produktionen betreut und ist bis heute bei jedem Stück mit Herzblut dabei.